Flechtfrisuren, Schleier, Hauben – Mittelalterliche Haarmoden und Kopfbedeckungen

Flechtfrisuren, Schleier, Hauben – Mittelalterliche Haarmoden und Kopfbedeckungen in Bildwerken des Hessischen Landesmuseums Darmstadt

Unser heutiges Bild vom Mittelalter wird stark durch die moderne mediale Aufarbeitung dieses Themas beeinflusst. Sehr interessant waren die Fragen der SchülerInnen bei der Museumsrallye, die beim Betrachten der mittelalterlichen Darstellungen im Hessischen Landesmuseum aufkamen. Hier wurde deutlich, wie sehr Filme und Fernsehserien ein Klischee des Mittelalterlichen generieren, das stark von den im Museum abgebildeten Männer- und Frauendarstellungen abweicht.

Das oft als „dunkel“ bezeichnete Mittelalter mit seinen Stereotypen, die unseren Sehgewohnheiten von Rittern und schönen Burgfräulein entsprechen, übt auf viele Menschen bis heute eine starke Faszination aus. Zahlreiche Blockbuster wie „Herr der Ringe“ oder erfolgreiche Serien wie „Game of Thrones“ spielen mit Klischees, die man allgemein mit dem Mittelalter verbindet – sei dies thematisch gesehen, z.B. durch Bezüge auf bekannte Erzählungen wie die Arthus-Sage, oder auch auf Kleider- und Haarmoden, letztere sollen im weiteren Verlauf näher erörtert werden.

Auch Ritterspiele und Mittelaltermärkte erfreuen sich einer anhaltenden Beliebtheit; damit soll das Leben der Menschen im Mittelalter Interessierten nahegebracht werden. Die auf diesen Festen getragenen Kleider und Haarmoden stehen aber häufig in der Tradition einer romantischen Idee des Mittelalters, die eine ideale Vorstellung dieser Epoche vermittelt, sie verherrlicht und wenig kritisch betrachtet. Übel und Missstände werden ausgeblendet bzw. nicht reflektiert. Damit knüpfen die Kleider an romantische Vorstellungen des Mittelalters an, die im 19. Jahrhundert geprägt wurden. Mit der beginnenden Industriellen Revolution wurde das Mittelalter in der Romantik zu einem mystischen Zufluchtsort, einem Ort der Sehnsucht, indem man den Menschen eine Verbundenheit mit der Natur, einen einfachen Lebensstil und ein Leben im Einklang mit der Religion zuschrieb.

Die durch Sammlungen, wie die des Hessischen Landesmuseums, überlieferten Moden entsprechen jedoch nur teilweise solchen Auffassungen des Mittelalters.

Susanna Stolz beschreibt in ihrem Buch „Die Handwerke des Körpers“ bereits eine im Mittelalter selbst bestehende Diskrepanz zwischen romanhafter Fiktion und dem Leben der Oberschicht: „Im eigentlichen ist es ein märchenhaftes Bild des Lebens, welches uns durch Heldenepik und höfischen Roman vermittelt wird. Die Mentalität der oberen Herrenschicht, die höfische Gesinnung, muß unter dem Blickpunkt einer Art ,poetischen Rücklaufs’ gesehen werden. Dass das reale Leben der adeligen Oberschicht in keinem Punkt dem epischen Entwurf entsprach, dieser jedoch in seinem Idealbild in vielfacher Weise das gesellschaftliche Verhalten der höfischen Kultur beeinflusst hat, ist seit Bumkes ‚Höfischer Kultur’ (1990) hinreichend bekannt.“[1]

Der durch die Präraffaeliten geprägte Maler John William Waterhouse schuf in seinem Gemälde La belle dame sans merci aus dem Jahr 1893 (Abb. 1), das im Hessischen Landesmuseum gezeigt wird, eine mittelalterlich inspirierte Darstellung einer „Femme Fragile“ und ihrer Verführung eines Ritters. Inspiriert wurde das Gemälde durch das gleichnamige Gedicht des bekannten romantischen englischen Dichters John Keats.

Auffällig ist hier die bis heute gängige Darstellung der mittelalterlich anmutenden Frisur und Kleidung. Das offene leicht wellige, überlange Haar, gehalten in einem für diese Zeit beliebten Blondton (beliebte Haarfarben waren Schwarz und Blond, Rot galt als Farbe des Teuflischen[2]), der Mittelscheitel und das ungeschminkte Gesicht stimmen mit unseren Sehgewohnheiten mittelalterlicher „Frouwen“(Frauen) überein. Was jedoch die Schminke angeht, verbreitete sich diese im zwölften Jahrhundert zügig in Europa, in England wurde eine „edle Blässe“ bevorzugt, was darin gipfelte, dass adlige Damen hungerten und häufig zur Ader ließen, um diesem Ideal näher zu kommen. In Frankreich wurde dagegen auf eine reichhaltige Ernährung und rote Wangen Wert gelegt.[3] Somit kann die Vorstellung einer „Naturschönheit“ widerlegt werden.

Bilder wie „La belle dame sans merci“ trugen im Laufe der Zeit zu Vorstellungen eines historischen Mittelalters bei, die weithin bekannt sind, sich jedoch eher als kreative Auseinandersetzung mit dem historischen Sujet erweisen.

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Abb.1: John William Waterhouse: La belle dame sans merci, 1893, Öl auf Leinwand, H. 81cm, B. 112 cm, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

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Abb. 2: Die Figur „Galadriel“ aus der „Herr der Ringe“-Verfilmung 2001, Regie: Peter Jackson- hier zu sehen mit langem, welligem Blondhaar, Mittelscheitel sowie Schleier und Schapel.

Wissenschaftlich betrachtet ist es jedoch nahezu unmöglich, diese mehr als 1000 Jahre umfassenden Epoche zu verallgemeinern. Die Moden und auch Lebensumstände änderten sich stark während dieser Zeit und die meisten Darstellungen mittelalterlich anmutender Kleidung und Frisuren, wie sie in zeitgenössischen Medien rezipiert werden, beziehen sich größtenteils, wenn überhaupt, auf das Spätmittelalter, dessen modische Elemente wie enge Taillen, wallende Kleider und immer länger werdende Ärmel am ehesten dem Stererotyp des „elfenhaften Burgfräuleins“ nahe kommen. Dies liegt auch daran, dass diese Moden zum einen aus heutiger Sicht gefälliger waren, als die im Früh- und Hochmittelalter noch häufig getragenen, römisch inspirierten Moden, die den Körper häufig nur umhüllten anstatt ihn zu betonen, wodurch auch eine hohe Schneiderkunst notwendig war. Zum anderen sind Funde von Kleidungsstücken dieser Zeit, die einen realistischen Einblick in die Moden dieser frühen Epochen geben könnten unglaublich selten und kaum erhalten. Die aufwendig gearbeiteten menschlichen Darstellungen an Kirchenbauten oder in imposanten Altarbildern, wie diejenigen im Hessischen Landesmuseum, geben jedoch einen Einblick in die damals herrschenden Kleidermoden.

Die lange Epoche des Mittelalters lässt sich grob in drei Abschnitte unterteilen: Das Frühmittelalter mit seinem wie bereits erwähnt noch stark römisch geprägten modischen Einschlag, das Hochmittelalter, das die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenkleidung weiter differenzierte, sowie das Spätmittelalter, in welchem es zu einer in wohlhabenden Kreisen teils übertriebenen Zurschaustellung des Prunks und Reichtums kam, den man auch an den überladenen Gewändern und Kopfbedeckungen fest machte.[4]

Was eine stereotype Kleiderordnung für das Mittelalter zudem unmöglich macht, ist die Tatsache, dass die Lebenswelten und Kleidermoden der in drei Stände unterteilten Bevölkerung – Klerus, Adel und Stadt- bzw. Landbevölkerung – gänzlich unterschiedlich waren. Die Standesunterschiede, die als von Gott gegeben galten, zeigten sich auch im äußeren Erscheinungsbild der Bevölkerung. Strenge Kleiderordnungen schrieben im Verlauf des Mittelalters exakt vor, wie man sich standesgemäß zu kleiden hatte.

Unsere heutige Vorstellung der mittelalterlichen Kleidung fokussiert sich meist auf die Kleidung von Klerus und Adel, da die wenigen überlieferten Bildwerke aus dieser Zeit ausschließlich religiöse Szenen zeigen und die dargestellten Personen aufgrund ihrer Wichtigkeit für die gläubigen Christen des Mittelalters die Kleidung und Haartrachten dieser Stände widerspiegelten.[5]

Den Ständen wurden gar charakteristische äußerliche Attribute zugeordnet – die Bauern galten als grobschlächtig, mit einer unattraktiven Physiognomie, für den Adel jedoch war Schönheit, besonders die weibliche, von hohem Wert. Sie galt als eine „sichtbare Schönheit des Unsichtbaren, des inneren Schönen und Guten“.[6]

Die in der mittelalterlichen Sammlung des Hessischen Landesmuseum Darmstadt gezeigten Werke präsentieren ausnahmslos diese besondere weibliche Schönheit.

Die Schönheitsideale dieser Zeit finden sich auf den Altären und Gemälden wieder.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dieser Verherrlichung der Schönheit zeigt der Ortenberger Altar (Abb. 3).

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Abb.3: „Der Ortenberger Altar“, Unbekannter Meister, Mittelrhein um 1410, aus der Marienkirche in Ortenberg, Tannenholz, H. 100 cm, B. 324 cm, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Es fallen vor allem die durchweg blonden Haare der gezeigten Frauen auf, ihre ätherische Aura wird noch betont durch die Darstellung der Kleidung in Blattsilber, die sie wie „nicht von dieser Welt“ erscheinen lassen. Der Ortenberger Altar gibt einen guten Einblick in die unterschiedlichen Haarmoden des beginnenden 15. Jahrhunderts, sowohl der männlichen, als auch der weiblichen. Die Mode an den Höfen Frankreichs galt seit dem Ende des 14. Jahrhunderts richtungsweisend für ganz Europa.[7]

Bei den dargestellten Damen handelt es sich um die weiblichen Anverwandten der Madonna, sie werden mit den unterschiedlichsten Frisuren bzw. Kopfbededeckungen dargestellt, angelehnt an den höfischen Stil der Frauenkleidung.[8]

Mit dem Sieg des Christentums in der fränkischen und karolingischen Zeit war es nunmehr Frauen von Seiten der Kirche verboten ihr Haar offen zur Schau zu stellen. Lediglich unverheiratete Frauen durften ihr Haar offen oder in Flechten tragen.

Das ganze Mittelalter hindurch und teils auch danach gab es vier verschiedene gebräuchliche Kopfbedeckungen: Den Schleier, oder das Kopftuch, das Gebende, oder Gebände, die Haube und den Hut.[9]

Maria, als zentrale Figur der Mitteltafel des Altars trägt ihr Haar in der Mitte gescheitelt, die Haare liegen in kleinen Wellen eng am Kopf an und laufen dann in zwei am Haaransatz gedrehten und dann sich auflösenden Zöpfen aus. Körner schreibt zu dieser Art der Zopfmode: „Gegen Ende des zwölften Jahrhunderts fanden die Frauen anscheinend das Tragen offener Haare lästig. Sie begannen das Haar zu zwei langen Zöpfen zu flechten, die mit Bändern umwunden wurden. Manchmal durchzog man auch lose Haarsträhnen mit Gold- oder Seidenband und ordnete diese dann in die Flechten ein.“[10]

Da es nur der weiblichen Jugend gestattet war, ihre Zopftracht offen zu zeigen, markiert die Haartracht hier Maria als Jungfrau, der Schleier gilt als Zeichen der Züchtigkeit. Schleier entwickelten sich „aus der frühchristlichen Tracht des Südens (…), im Norden (ging) er auf das Kopftuch zurück, das Haar und Nacken gegen Sonne, Regen und Kälte schützte.“[11] Schleier hatten meist eine weiße Farbe, edlere Modelle waren mit Goldstickerei verziert. Zunächst waren sie aus feinem Leinen gefertigt, später auch aus Seide. Die Schleier wurden im Verlauf des Mittelalters immer aufwändiger gearbeitet und die reiche Ausstattung zu einem Statussymbol.[12]

Auch der Schleier Marias auf dem Altarbild ist mit kleinen Bommeln verziert. Die verheirateten Angehörigen Marias links und rechts von ihr tragen zum Schleier noch ein Gebende. Dies waren Binden, die um Stirn und Wangen gebunden wurden. Der Schleier wurde am Gebende befestigt.[13]

Das Verhüllen des Haares verheirateter Frauen war verwurzelt in dem Frauenbild des Mittelalters. Frömmigkeit, Tugendhaftigkeit und Keuschheit galten als zentrale Eigenschaften, die Frauen zugeordnet wurden. Bedingt durch den in der Bibel der Frau zugeschriebenen Sündenfall galt diese als seelisch schwach und der Führung des Mannes bedürftig.[14] Das Verdecken des als sündhaft geltenden Haares war Teil des tugendhaften Verhaltens der verheirateten Frau.

In einigen Konfessionen bedecken Frauen nach wie vor ihr Haar in der Kirche mit verschiedenen Spielarten des Schleiers, einem Tuch oder einer Mantille (Protokoll bei einer Audienz beim Papst), unter anderem in der orthodoxen Kirche, bei den russischen Baptisten, den Mennoniten sowie den Amischen und Hutterern in den USA und Kanada.

Ein weiteres Beispiel für eine hochmittelalterliche Art, den Schleier zu tragen, findet sich auf dem „Grossen Friedberger Altar“ (Abb. 4). Maria, in dem für sie typisch blauen Gewand links neben Jesus stehend, trägt eine in der römischen Mode verwurzelte „Palla“, also einen Mantel, der über der Kleidung getragen wurde und dessen Rückenteil man sich über den Kopf zog, um das Haar zu bedecken.

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Abb. 4: „Der Grosse Friedberger Altar“, Mittelrhein, 1370/80, Aus der Liebfrauenkirche in Friedberg, Eichenholz, Kiefernholz, 348 cm, B. 532 cm, Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Die zweite Dame von rechts auf der Mitteltafel des spätmittelalterlichen Ortenberger Altars trägt ihren Schleier lose um den Kopf gebunden. Körner schreibt zu dieser Art die Kopfbedeckung zu tragen: „Trotz des strengen kirchlichen Gebotes, das Haar zu verhüllen, wussten die Frauen ihre besonderen weiblichen Schönheitsbelange zu wahren, indem sie an Stirn und Wangen zierliche Löckchen hervorquellen ließen.“[15] Locken galten ohnenhin als die bevorzugte Art, das Haar zu tragen. Wenn das Haar von sich aus keine Locken aufwies, half man mit einem Brenneisen nach (Abb. 5). Dieses wurde von Frauen wie Männern, selbst von Geistlichen (vgl. auch die „Wormser Tafeln“ im Hessischen Landesmuseum, Mittelrhein, 1260, Abb. 6), gleichermaßen benutzt. Dieser Eingriff in die Struktur des Haares widerspricht somit einer vollkommenen „Natürlichkeit“ und einem fehlenden „Modebewusstsein“ der Menschen des Mittelalters.

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Abb. 5: Brennscheren, wie sie zur Kräuselung der Haare benutzt wurden. Die hier abgebildeten stammen aus den 1930er Jahren, das Prinzip bleibt sich jedoch gleich.

Das Hessische Landesmuseum beherbergt in seiner Sammlung einige weitere Bilder bzw. Statuen, die diese Haartracht tragen. Beispiele für Papillotenfrisuren wären z.B. die Darstellung des Jesukindes in der mittelrheinischen Statue der „Muttergottes auf dem Löwen“ (Abb. 7), ca. 1420, oder die des „Johannes der Täufer“ (Abb. 8), Florenz, um 1490.

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Abb. 6: Teilbild der„Wormser Tafeln“, Mittelrhein, 1260, Heiliger Petrus auf dem rechten Flügel innen zu Seiten der unbekannten, fehlenden Mitteltafel/ Mittelschrein, Nadelholz, HLMD
Abb. 7: „Muttergottes auf dem Löwen“, Sandstein, HLMD
Abb.8:  Nachfolge Andrea del Verrocchio: Johannes der Täufer, 1490/1500, gebrannter Ton, HLMD

Eine weitere typische Kopfbedeckung der Frau war, seit der ab dem 13. Jahrhundert verbreiteten Sitte der Bedeckung des Haares bei verheirateten Frauen, das bereits oben genannte Gebende. Es bestand aus einem meist weißen Kinnband, das in ein kappenförmiges Kopftuch mit Stirnband überging. Über dem Stirnband wurde oft ein Schapel getragen, ein dünner Metallreif, der mit Edelsteinen oder Perlen besetzt war, bei adligen Trägerinnen konnte dies auch eine Krone sein. Hervorgegangen war der Schapel aus den Blumenkränzen, mit denen junge Frauen ihr offenes Haar schmückten.[16] Ein Beispiel für einen Schapel zeigt das Ortenberger Altarbild auf dem rechten Flügel – Maria, die im Mittelpunkt der Darstellung steht, trägt ihr offenes Haar verziert mit einem Metallreif. Gebende wurden neben der Kombination mit dem Schapel häufig auf zusammen mit einem Schleier getragen, der an diesem festgesteckt wurde.

Die Dame links im Bild auf der Mitteltafel des Ortenberger Altars trägt eine weitere beliebte Kopfbedeckung, die im Verlauf des Mittelalters die unterschiedlichsten Spielarten ausbilden sollte: Die Haube. Sie ließ oft noch einige Stirnlocken hervorblitzen und wird hier in Weiß gezeigt, vermutlich als Versinnbildlichung der Reinheit der Trägerin. Ihre Form und Ausstattung war später stark der Mode unterworfen. Besonders in der Renaissance wurde die Haubenmode immer aufwändiger. Wichtiges Merkmal des Wohlstands war hier, wie auch bei der Kleidung, die Menge des verwendeten Tuchs – Stoffe waren teuer und je mehr Lagen hiervon für die Haube verwendet wurden, desto wertvoller war sie und als umso wohlhabender galt ihre Trägerin.

Eine eindrucksvolle Haube ist auch auf dem Dreifaltigkeitsaltar auf dem rechten Flügel zu sehen. Hauben wurden auch in Kombination mit der Rise getragen, dies war ein „weißes, reich gefältetes Tuch aus Leinen oder Seide, das von den Schläfen ausgehend über Wangen, Kinn und Hals fiel und diese verdeckte.“[17] Auch auf dem Mittelteil des Ortenberger Altars wird diese Art der Kopfbedeckung gezeigt, die Damen zur Linken und Rechten Marias tragen ihr Haar und Dekolleté verborgen unter Stoff.

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Abb. 9: Ulrich Mair von Kempten, Dreifaltigkeitsaltar, 1482: linkes Altarbild: Dame mit Haube ganz links im Bild

Doch gibt uns das Ortenberger Altarbild nicht nur Informationen zur weiblichen Haarmode, auch die der Herren wird abgebildet (Abb. 10).

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Abb.: 10: „ Der Ortenberger Altar“, rechter Flügel: Verschiedene Haar- und Bartmoden der Herren

Der kniende König, auf dem rechten Tafelbild zu sehen, zeigt seine Jugendlichkeit durch ein glatt rasiertes Gesicht. Lange Bärte waren seit dem Ende des 14. Jahrhunderts selten, sie galten als charakteristisch für ältere Leute. Der Spitzbart des stehenden Königs war jedoch eine Mode des französischen Hofes und wird hier abgebildet.[18] Die Haartracht der Männer ist gekennzeichnet durch die für die Zeit typischen Wellen, die auch in der Haartracht der Damen Anklang fanden.

Der Ortenberger Altar liefert bereits zahlreiche Informationen zu gängigen Kopfbedeckungen und Haarmoden des Spätmittelalters, jedoch fehlen auf ihm Darstellungen der imposanten Hörnerhauben und Hennins, die gegen Ende des 14. bzw. im 15. Jahrhundert beliebt wurden. Diese wirken fast so, als hätte die Gotik, mit ihren nach oben strebenden Formen und spitzen Kirchtürmen, die hoch in den Himmel ragten, ihre Spuren durch diese Gestaltungselementen auf den Köpfen der Damen hinterlassen.

Hierzu enthält die umfangreiche Sammlung des Hessischen Landesmuseums ein Bildwerk, das diese Moden sehr gut verdeutlicht: Auf dem rechten Altarflügel des Dreifaltigkeitsaltars sind verschiedene Spielarten der Haubenkreationen zu sehen. Durch den steigenden Wohlstand im Spätmittelalter wechselten die Moden häufiger und wurden extravaganter, über Deutschland kamen die Hörnerfrisuren an den französischen Hof und wurden dort schnell weiterentwickelt. Die strenge Verhüllung des Körpers lockerte sich auf und das Zeigen des Dekolletés wurde en vogue. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts kam eine neue, extravagante Kopfbedeckung auf, der „Escoffion“, ein Vorläufer der Hörnerhauben und Hennins. Getragen wurde er mit einer ausrasierten, hohen Stirn, die als besonderes Schönheitsmerkmal galt. Um die hörnerartigen Flechtfrisuren zu formen, flechtete man aus den Haaren des Vorderkopfes zwei straffe Zöpfe, wickelte ein Netz darum und steckte diese seitlich sehr straff auf.

Auf dem linken Altarflügel trägt die Dame ganz rechts im Bild eine solche Hörnerfrisur, dekoriert mit einem Schleier. Die Hörnerfrisuren wurden im Laufe der Zeit immer aufwändiger und grotesker.[19]

Am für die damalige Zeit elegantesten und reichsten französischen Hof in Burgund kamen im 15. Jahrhundert die Hennins auf und wurden alsbald in ganz Europa beliebt. Die Hennins bestanden aus Drahtgestell, das mit feinem Tuch überzogen war. Sie waren spitz zulaufende Kopfbedeckungen, die auch wieder die Aufgabe hatten das Haar ihrer Trägerin zu verbergen. Sie waren eine Weiterentwicklung einer in Flandern getragenen Kopfbedeckung, jedoch war diese Ursprungsform wesentlich kleiner. An der Spitze der bis zu 60 cm hohen Hennins wurde ein Schleier befestigt. Die Länge des Schleiers gab Auskunft über den Stand der Trägerin- auch in Bezug auf die Hennins griff die Kleiderordnung. Bei Frauen von niederem Stand durfte er nicht länger als taillenlang sein, bei adligen Frauen waren bis zu bodenlange Schleier üblich. Auch die Höhe des Hennins repräsentierte den Rang seiner Trägerin.[20] Hennins sind uns heute vor allem bekannt als Teil einer karnevalistischen Verkleidung als Prinzessin oder Fee.

Hörnerhauben und Hennins verdeutlichten nach außen hin eine Mode, die nicht praktisch war und erkennen ließ, dass ihre Trägerin keiner Arbeit nachgehen musste.

Es gab drei bekannte Arten den Hennin zu tragen,

  • Den stumpfen „petit hennin“
  • Für große Feste und Zeremonien den spitz zulaufenden „grand hennin“ an dessen Spitze der Schleier herabfiel
  • Den „hennin à voiles“, bei dem der Schleier auf dem Hennin auflag und von diesem zu beiden Seiten herabfiel.[21]

Zu sehen ist der „petit hennin“ links hinter der Hauptfigur der Heiligen Katharina auf dem rechten Altarflügel des Dreifaltigkeitsaltars. Hier ist die reich verzierte Haube zusätzlich noch mit einem zarten, durchscheinenden Schleier bedeckt. Die weibliche Figur rechts hinter Katharina trägt einen schlichteren „petit hennin“ ohne Schleier.

Ein Beispiel für eine Hörnerhaube ist ebenfalls auf dem Gemälde zu finden. Die Dame ganz rechts auf im Bild trägt eine prächtige Hörnerhaube, die von einem weißen Schleier gekrönt wird. Die Stirnen der Damen zeigen sich haarlos, der Teint erscheint von edler Blässe zu sein.

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Abb.11: Hörnerhaube und Hennins auf dem rechten Altarflügel des Dreifaltigkeitsaltars- im Hintergrund zu sehen ist ein gotischer, spitz aufragender Kirchturm

Wichtig bei der Betrachtung der beschriebenen mittelalterlichen Gemälde ist, sich zu vergegenwärtigen, dass die abgebildeten Personen und Haarmoden nur den Adel bzw. Klerus repräsentierten, jedoch keinesfalls die nicht-adelige Stadt- und Landbevölkerung. Bedingt dadurch, dass die meisten Gemälde im Auftrag der Kirche entstanden, war das Abbilden des dritten Standes keine Option. Sie wurden lediglich klein im Hintergrund als Staffage gezeigt, wenn es das Thema verlangte. Dies galt übrigens auch für den Adel, der zwar durch sein prächtigen Moden repräsentiert war, jedoch wurden keine Personen, wie später beim Adelsporträt abgebildet. Die Art der Darstellung von Menschen im Porträt kam erst in der Renaissance auf.

Somit wurden unsere Sehgewohnheiten des „Mittelalters“ geprägt durch eine Vorstellung des Mittelalterlichen, das irgendwo zwischen Gotik, Renaissance und gar Barock liegen könnte. Zumindest, wenn man den Darstellungen der Medien von Märchengestalten wie Prinzessinnen und Rittern glauben möchte.

Beitrag von Daniela Herzog

[1] Vgl. Stolz, Susanna: Die Handwerke des Körpers. Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur, Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses. Marburg: Jonas 1992, S. 27. Stolz bezieht sich in diesem Abschnitt auch auf Joachim Bumke: Höfische Kultur: Literatur und Gesellschaft im hohen Mittelalter, 2 Bände, München: Deutsche Taschenbuch-Verlag 1986.
[2] Vgl. Körner, Erich: Zauber der Frisur- 5000 Jahre Haarkosmetik und Mode, Wella AG Darmstadt, Darmstadt: Druckhaus Darmstadt 1964, S. 62.
[3] Ebd., S. 61.
[4] Vgl. Körner 1964, S. 58.
[5] Vgl. Stolz 1992, S. 25-28.
[6] Vgl. ebd., S. 27.
[7] Vgl. Bott, Gerhart; Beeh, Wolfgang (1981): Der Ortenberger Altar, Hessisches Landesmuseum Darmstadt,           S. 7-8.
[8] Vgl. ebd., S. 7-8.
[9] Vgl. Körner 1964, S. 58.
[10] Ebd. S. 61.
[11] Ebd., S. 58.
[12] Vgl. ebd., S. 58.
[13] Vgl. ebd., S. 58.
[14] Vgl. Stolz 1992, S. 37.
[15] Körner 1964, S. 58.
[16] Vgl. Landesmuseum Oldenburg (Hrsg.) (1996): Kleidung und Mode vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Kat. Landesmuseum Oldenburg, Oldenburg: Isensee, S. 14.
[17] Ebd., S. 15.
[18] Vgl. Bott/Beeh 1981, S. 7-8.
[19] Vgl. Körner 1964, S. 65.
[20] Vgl. Landesmuseum Oldenburg 1996, S. 15.
[21] Vgl. Körner 1964, S.66.
Literaturverzeichnis:
  • Bott, Gerhart; Beeh, Wolfgang (1981): Der Ortenberger Altar, Hessisches Landesmuseum Darmstadt.
  • Körner, Erich (1964): Zauber der Frisur- 5000 Jahre Haarkosmetik und Mode“, Wella AG Darmstadt, Darmstadt: Druckhaus Darmstadt.
  • Landesmuseum Darmstadt (Hrsg.) (1986): Vorschläge für den Kunstunterricht, Hessisches Landesmuseum Darmstadt.
  • Landesmuseum Darmstadt (Hrsg.) (1990): Deutsche Malerei um 1260 bis 1550 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Kat. Hessisches Landesmuseum Darmstdt.
  • Landesmuseum Oldenburg (Hrsg.) (1996): Kleidung und Mode vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Kat. Landesmuseum Oldenburg, Oldenburg: Isensee.
  • Stolz, Susanna (1994): Die Handwerke des Körpers: Bader, Barbier, Perückenmacher, Friseur- Folge und Ausdruck historischen Körperverständnisses, Marburg: Jonas.
  • Woelk, Moritz (1995): Vom Jenseits ins Diesseits – Sakrale Bilder des Spätmittelalters aus den Beständen des Hessischen Landesmuseum und aus Privatbesitz, Ausst.-Kat. Hessisches Lanesmuseum Darmstadt.
Abbildungsnachweise:
Abb.1: www.jwwaterhouse.com/viel.cfm?recodid=20 (Letzter Zugriff: 13.08.2015, 10:05)
Abb. 2: www.lotr.wikia.com/Wiki/Galadriel (Letzter Zugriff: 13.08.2015, 10:05)
Abb.3, 4, 6, 7, 8, 9, 10, 11: Foto: Daniela Herzog
Abb. 5: www.duden.de/rechtschreibung/brennschere

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