Die Rolle des Haares im Märchen Rapunzel

Die Rolle des Haares im Märchen Rapunzel – Erstausgabe Brüder Grimm

Das menschliche Haar hatte schon immer eine symbolische Funktion. Rückblickend in die Geschichte wird das Haar, besondere das weibliche Haar, in Zusammenhang mit Macht und Verlockung, Unschuld und Güte in Verbindung gebracht. Das schöne, glänzende Haar schenkt der Frau ein verführerisches Potenzial und damit eine gewisse ,Machtposition‘ gegenüber dem Mann, durch die die Frauen wiederrum gefährdet sind. In der Geschichte der Märchen sind blonde Haare häufig anzutreffen. Diese besetzen die Rolle der ,goldhaarigen Heldin‘, die nach erfolgreichen Kämpfen gegen Hexen oder Fabelwesen bis an ihr Lebensende leben darf und zugleich ihren Traumprinzen in ihren Bann zieht.

Deren Schwestern werden meist als dunkelhaarige, weniger zierliche und schöne Gestalten beschrieben, welche durch Neid angetrieben werden Böses zu tun. Das Haar spiegelt nicht nur Schönheit wieder, sondern ebenso besitzt es oft magische Kräfte. Rapunzels Haar ist kräftig genug, dass es erlaubt, an ihm den Turm heraufzuklettern.

Oftmals wird das das blonde, golden schimmernde Haar mit dem edlen Metall in Verbindung gebracht und symbolisiert Makellosigkeit, Stärke, Beständigkeit und Wert.

Das Märchen Rapunzel, beschreibt die Geschichte eines bei einer Fee aufwachsenden Mädchens, welches isoliert von der Außenwelt in einem Turm gefangen gehalten wird. Ihr langes goldenes Haar, welches sie aus dem Turmfenster herablässt, dient ihr als Kontaktmöglichkeit zur Fee bzw. Ersatzmutter, welche an den Haaren hochklettert (Abb. 1). Nach vielen Jahren der Einsamkeit gelangt ein junger Königssohn an den Turm. Er verliebt sich und besucht Rapunzel heimlich Nacht für Nacht. Als die Fee hinter das Geheimnis gelangt, schneidet sie Rapunzels Haar ab und verbannt sie in eine Wüstenei.

Unwissend trifft der Prinz auf die böse Fee, welche ihn mit Rapunzels Haaren in den Turm lockt. Vor Trauer stürzt er sich von dem Turm und erblindet an den Dornen der Hecke in die er fällt. Nach etlichen Tagen trifft er plötzlich auf Rapunzel, welche zurückgezogen mit neugeborenen Zwillingen in der Wüstenei lebt. Vor Freude beginnt Rapunzel zu weinen und ihre Tränen lassen den Prinzen wieder sehen.

Rapunzel-Ubbelohde
Abb. 1: Federzeichnung von Otto Ubbelohde (1907)

Rapunzels Haar ist nicht der Grund ihrer Gefangenschaft, sondern das Kennzeichen ihrer Schönheit. Es wird dennoch zu ihrem Verhängnis, da die Fee sie aus Neid auf ihre Schönheit gefangen hält.

„fein wie gesponnen Gold…“ (Grimm, 76)

Ihr Neid wird deutlich gemacht, als sie aus Eifersucht ihr Haar abschneidet. Das Haar stellt außerdem ein Symbol der Versuchung des Mannes durch die Frau dar, da der Prinz, angelockt durch Rapunzels Haare, in den Turm empor steigt und durch diese unvernünftige Handlung sein Augenlicht verliert. Die Haare als Schönheitssymbol führen sowohl die schöne Frau als auch den Mann als ,starkes Geschlecht‘ ins Verderben. Erst gegen Ende kann der Prinz als Inhaber der gesellschaftlichen Ordnungsfunktion des Mannes die schöne Frau aus ihrem Leid erlösen, nachdem er durch sie sein Augenlicht zurückgewinnt. Die Frau erlöst sich somit teilweise selbst. Sie trägt einerseits eine Teilschuld an ihrem Unglück, als auch an ihrem Glück.

In Rapunzel, als auch in vielen anderen Märchen, symbolisiert das goldene Haar zweierlei feminine Eigenschaften: die Schönheit und die verführerische Wirkung auf das männliche Geschlecht. Dadurch setzten sich die ,schönen‘ Frauen in vielen Märchen doppelten Gefahren aus: Neid (,hässlicher Frauen‘) und Unvernunft (der verführten Männer). Das Haar symbolisiert die Gefährdung durch Schönheit.

Beitrag von Ines Oetzel

Quellen:
Handbuch zu den “Kinder – und Hausmärchen” der Brüder Grimm; S. 26-29.
The VOGUE Book of Blondes in BLOND; Kathy Phillips; Märchenblondinen; S. 25.
Flechten, Fell und Bärte – Genderspezifische Aspekte der Haarsymbolik im Märchen; Henrike Walter (Hamburg) in Haare zwischen Fiktion und Realität – Interdisziplinäre Untersuchungen zur Wahrnehmung der Haare; Kulturwissenschaft Bd. 17; LIT Verlag Dr. W. Hopf Berlin 2008; S. 341-357.
Es wächst auf dir – Unterhaltsames, Kurioses, Amüsantes, Wissenswertes über Haare; Inke Barbara Peters; 2., überarb.u. erweit. Aufl.; Verlag H. Stam GmbH; S. 37- 39.

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